Das schweizer Aktienrecht wird modernisiert. Dazu hat am 19. Juni 2020 das Parlament nach jahrzehntelangen Vorarbeiten die «grosse» Aktienrechtsrevision verabschiedet. 

Nachfolgend sind die wichtigsten Neuerungen zusammengefasst, welche ab dem 1.1.2023 in Kraft treten.

Mehr Flexibilität bei Aktienkapital und Dividenden
Die Revision bringt mehr Flexibilität bei der Kapitalstruktur und in Bezug auf Dividenden mit sich:

  • Aktienkapital kann neu auf eine zulässige Fremdwährung lauten (sog. funktionale Währung, also in der für die Geschäftstätigkeit wesentlichen Währung);
  • Der Nennwert von Aktien kann auch kleiner sein als das heutige Minimum von CHF 0.01, solange er grösser als Null ist;
  • Vereinfachungen und Klarstellung bei der Liberierung durch Sachübernahmen oder durch Verrechnung. Die beabsichtigte Sachübernahme gilt neu nicht mehr als qualifizierte Gründung. Bei der Verrechnungsliberierung dürfen nun explizit auch nicht mehr werthaltige Forderungen verrechnet werden.
  • Gesellschaften können ein sog. Kapitalband mit einer Bandbreite zwischen plus 50% bzw. minus 50% des eingetragenen Aktienkapitals einführen. Innerhalb des Kapitalbands ist der Verwaltungsrat ermächtigt das Aktienkapital innert max. 5 Jahren zu erhöhen oder herabzusetzen. Das Kapitalband ersetzt das bisherige genehmigte Kapital, welches einzig Kapitalerhöhungen zulässt und max. für zwei Jahre gilt;
  • Zwischendividenden basierend auf einem Zwischenabschluss neu möglich sind, sofern die anderen Voraussetzungen zur Dividendenausschüttung erfüllt sind. Betreffend Prüfung durch die Revisionsstelle gelten grundsätzlich die gleichen Regeln wie bei der Jahresrechnung. Es kann jedoch auf eine Prüfung verzichtet werden, wenn sämtliche Aktionäre zustimmen und die Forderungen der Gläubiger dadurch nicht gefährdet werden.
  • Die Rückerstattungspflichten von Aktionären, Organen und nahestehenden Personen wurden verschärft. Bei ungerechtfertigt bezogenen Leistungen besteht neu immer eine Rückerstattungspflicht, nicht nur bei einem offensichtlichen Missverhältnis zur Gegenleistung und zur wirtschaftlichen Lage und bei Bösgläubigkeit. 

Aktionärsrechte
Die Reform erweitert die Rechte von Minderheitsaktionären. Namentlich werden verschiedene Schwellenwerte für die Ausübung von Aktionärsrechten gesenkt:

  • Bei nicht kotierten Gesellschaften können Aktionäre, die mind. 10% des Aktienkapitals oder der Stimmen halten, dem Verwaltungsrat jederzeit (statt wie bisher nur an der Generalversammlung) Fragen stellen. Der Verwaltungsrat muss die Fragen innert vier Monaten beantworten;
  • Traktandierungsrecht: 0.5% (Publikumsgesellschaften) oder 5% (private Gesellschaften) des Kapitals oder der Stimmrechte (gegenwärtig: 10% oder Aktien im Nennwert von CHF 1 Mio. für alle Gesellschaften). Der Schwellenwert für das Einberufungsrecht zu einer ausserordentlichen Generalversammlung wird bei börsenkotierten Gesellschaften auf 5% des Aktienkapitals oder der Stimmen gesenkt (gegenwärtig 10%);
  • Aktionäre, die mind. über 5% des Aktienkapitals oder der Stimmen verfügen, können neu auch ohne Ermächtigung der Generalversammlung Einsicht in die Geschäftsbücher und Korrespondenzen nehmen, allerdings nur soweit dies für die Ausübung der Aktionärsrechte erforderlich ist und die schutzwürdigen Interessen der Gesellschaft nicht gefährdet werden.
  • Der Schwellenwert für das Einberufungsrecht zu einer ausserordentlichen Generalversammlung wird bei börsenkotierten Gesellschaften auf 5% des Aktienkapitals oder der Stimmen gesenkt (gegenwärtig 10%).

 Generalversammlung

  • Die Revision modernisiert die Generalversammlung, erlaubt die Nutzung digitaler Technologien und gewährt mehr Flexibilität bei der Organisation:
  • Die Durchführung von virtuellen Generalversammlungen wird ausdrücklich erlaubt, vorausgesetzt die Statuten sehen dies vor;
  • Universalversammlungen können neu auch auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form abgehalten werden;
  • Bei börsenkotierten Gesellschaften muss der unabhängige Stimmrechtsvertreter neu die Weisungen der Aktionäre bis zur Generalversammlung vertraulich behandeln und darf der Gesellschaft allgemeine Auskünfte über die bei ihm eingegangenen Weisungen frühestens drei Werk-tage vor der Generalversammlung geben.

Sanierung und Insolvenz
Das Sanierungsrecht wird modernisiert und stellt neben den bisherigen bilanziellen Elementen die Liquidität der Gesellschaft ins Zentrum.

  • Neue Pflicht für den VR, die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft zu überwachen. Bei drohender Zahlungsunfähigkeit sind Massnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit zu ergreifen und soweit erforderlich weitere Massnahmen zur Sanierung zu treffen und nötigenfalls ein Gesuch um Nachlassstundung einzureichen. Dabei handelt der VR mit der gebotenen Eile.
  • Bei einem hälftigen Kapitalverlust muss die sogenannte Sanierungs-GV nicht mehr einberufen werden. Auch hier handeln der VR und die Revisionsstelle mit der gebotenen Eile.
  • Für die Berechnung des hälftigen Kapitalverlusts werden das Aktienkapital und nur die nicht zurückzahlbaren (gesperrten) gesetzlichen Reserven betrachtet.
  • Bei einer Überschuldung kann die Benachrichtigung des Richters unterbleiben, wenn entweder Rangrücktritte im Ausmass der Überschuldung bestehen oder begründete Aussicht besteht, dass die Überschuldung innert angemessener Frist, spätestens jedoch aber 90 Tage nach Vorliegen der geprüften Zwischenabschlüsse, behoben werden kann und die Forderungen der Gläubiger nicht zusätzlich gefährdet werden.
    Der Rangrücktritt nach Art. 725b OR muss nebst dem geschuldeten Betrag auch die Zinsforderungen für die Dauer der Überschuldung umfassen.


Vergütungen des Topmanagements
Die Reform setzt mehr oder weniger die bisherigen Regeln der Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften (VegüV) um. Die Wichtigsten Punkte sind:

  • Antrittsprämien zum Stellenantritt sind nur dann zulässig, wenn sie einen mit dem Stellenwechsel verbundenen «nachweisbaren finanziellen Nachteil» ausgleichen;
  • Prospektive Abstimmungen der Generalversammlung über variable Vergütungen bleiben zulässig, doch ist in diesem Fall eine Konsultativabstimmung über den Vergütungsbericht zwingend erforderlich;
  • Entschädigungen für Konkurrenzverbote sind nur zulässig, wenn das Konkurrenzverbot geschäftsmässig begründet ist und die Entschädigung die durchschnittliche Jahresvergütung der letzten drei Jahre nicht übersteigt

Geschlechterquote
Einer der umstrittensten Reformpunkte betrifft die Vertretung der Geschlechter im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung von bedeutenden börsenkotierten Gesellschaften.

Sofern nicht jedes Geschlecht mit mindestens 30% im Verwaltungsrat bzw. mit mindestens 20% in der Geschäftsleitung vertreten ist, muss die Gesellschaft die Gründe für die Untervertretung und die Massnahmen zur Förderung des weniger stark vertretenen Geschlechts offenlegen. Andere Sanktionen sind nicht vorgesehen.

Für die Umsetzung dieser "Comply or Explain"-Regel haben die Unternehmen in Bezug auf den Verwaltungsrat fünf Jahre und in Bezug auf die Geschäftsleitung zehn Jahre nach Inkrafttreten der Reform Zeit.

Inkrafttreten
Das Inkrafttreten der Gesetzesrevision wird durch den Bundesrat bestimmt. Der Bundesrat hat die entsprechenden Bestimmungen zur Geschlechterquote auf den 01.01.2021 in Kraft gesetzt. Die übrigen Anpassungen im Zusammenhang mit der Aktienrechtsrevision werden per 01.01.2023 in Kraft treten.

Handlungsbedarf
Nach Inkrafttreten der Revision haben die Gesellschaften zwei Jahre Zeit, um ihre Statuten gegebenenfalls anzupassen.

Wir empfehlen Schweizerischen Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) und Genossenschaften ihre Statuten und internen Reglemente zu überprüfen, um die Einhaltung der neuen Vorschriften sicherzustellen und allenfalls von der grösseren Flexibilität und den neuen Möglichkeiten zu profitieren.

 Bei Fragen sind wir gerne für Sie da.